loading

Messages are loaded...

Deutsch-tschechischer Journalistenpreis ehrt grenzüberschreitende Recherchen

Journalistenpreisverleihung im Prager TheaterStudio Hrdinů. Foto: ivan.svo@gmail.com
Journalistenpreisverleihung im Prager TheaterStudio Hrdinů. Foto: ivan.svo@gmail.com

Die Preisverleihung im Prager Theater würdigte neun Journalisten für herausragende Berichterstattung. 100 Beiträge wurden eingereicht. Die Themen reichten von Integration bis Müllentsorgung.

Neun Journalisten jetzt mit Preis. Am 20. November fand die feierliche Verleihung des Deutsch-tschechischen Journalistenpreises im Prager Theater Studio Hrdinů statt. Unter dem Motto "Journalismus, der verbindet" wurden neun herausragende Journalistinnen und Journalisten aus Deutschland und Tschechien geehrt, teilten die Veranstalter vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds mit. 

Die Preisverleihung vor rund 200 Gästen wurde live auf der Website des Tschechischen Fernsehens und des MDR übertragen. Als Prolog zur Preisverleihung eröffnete eine Ausstellung, die die letzten zehn Jahre des Journalistenpreises thematisierte.

Die Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, Petra Ernstberger und Tomáš Jelínek, hoben in ihren Reden die Bedeutung von grenzüberschreitendem Journalismus hervor. Sie betonten, dass die über 100 eingereichten Beiträge nicht nur die gemeinsame Geschichte beleuchten, sondern auch aktuelle gesellschaftliche Themen wie den Pflegenotstand in Deutschland und den illegalen Müllhandel in Tschechien behandeln. Die Jury des Deutsch-tschechischen Journalistenpreises setzte sich aus erfahrenen Journalisten zusammen, die sowohl Deutsch als auch Tschechisch sprechen. 

Die Jury hob insbesondere die Qualität der Arbeiten hervor und lobte die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Journalistinnen und Journalisten. Die Berichterstattung reichte von individuellen Schicksalen bis hin zu umfassenden Analysen gesellschaftlicher Herausforderungen und deren Darstellung in Medien.

Eine besondere Ehrung wurde mit dem Sonderpreis "Milena Jesenská" vergeben, der an Luboš Palata für seinen Kommentar zur tschechischen Identität und ihren Einfluss auf die Nachbarschaftsbeziehungen ging.

Der Deutsch-tschechische Journalistenpreis geht auf den Bedarf nach einer fundierten und objektiven Berichterstattung über das Nachbarland zurück. Er möchte journalistische Arbeiten fördern, die über die gängige Berichterstattung hinausgehen und gesellschaftliche Themen, Menschen und Geschichten ans Licht bringen. Die besten in den einzelnen wurden mit einem Preisgeld von 2.500 Euro ausgezeichnet. Die Preisträger zeigen eindrucksvoll, wie Journalismus zur Verständigung und zum besseren Verständnis zwischen den beiden Ländern beitragen kann.

Die Preisträgerinnen und Preisträger

 Kategorie Text 

  • Tomáš Lindner: Nedostatečně německý Němec. Podivuhodný případ kouzelníka Mesuta Özila, Respekt, 6. 5. 2025
  • Leonie Gubela: Missstände in der „24-Stunden-Pflege“: Wer hilft ihnen?, wochentaz, 11. 1. 2025

Kategorie Audio

  • Barbora Sochorová, Jan Novák: Atraktivní skládka Česko. Na stopě odpadovým šíbrům, Seznam Zprávy, 12. 3. 2025
  • Ferdinand Hauser: „Prost, ihr Säcke!“ – Der Sauftourismus und die letzten Einwohner der Prager Altstadt, Radio Prag International, 28. 12. 2024

Kategorie Multimedia

  • Lenka Ovčáčková: Světlo pro budoucnost / Das Licht für die Zukunft, YouTube, 21. 5. 2025
  • Babette Hnup, Kristina Klasen: Arte Re: Zwei Mohnbauern gegen einen Käfer, Arte, 22. 1. 2025

Sonderpreis „Milena Jesenská“

  • Luboš Palata: Češi mezi našimi Němci a našimi Slováky, Deník, 13. 6. 2025


Mehr über die Gewinnerbeiträge

 Kategorie TEXT

In seiner Reportage Nedostatečně německý Němec. Podivuhodný případ kouzelníka Mesuta Özila („Nicht deutsch genug. Der wundersame Fall des Zauberers Mesut Özil“) zeichnet Tomáš Lindner am Beispiel des Fußballers Mesut Özil die deutsche Integrationsdebatte nach. „Lindners Reportage über Aufstieg und Fall einer deutschen Ikone bohrt in die Tiefe. Ihr geht es nicht ums Urteilen, sondern ums Verstehen. So ist ein gründlicher, einfühlsamer Text entstanden, der die Jury absolut überzeugt hat – eine Reportage, die nicht nur Tschechen ein Stück Deutschland erklärt, sondern auch Deutschen, würden sie ihn lesen, etwas über ihr Land. Mehr kann man, denke ich, im Auslandsjournalismus nicht erreichen“, lobt der Journalist Daniel Brössler von der Süddeutschen Zeitung in seiner Laudatio.

 In ihrer Reportage Missstände in der „24-Stunden-Pflege“: Wer hilft ihnen? bietet Leonie Gubela Einblicke in den Arbeitsalltag von drei Betreuerinnen aus Tschechien, die wie hunderttausende weitere Frauen aus Mittel- und Osteuropa das deutsche Pflegesystem am Laufen halten. Hinter ihrem Einsatz steht ein wachsender Markt aus Vermittlungsagenturen, in dem arbeitsrechtliche Grauzonen Alltag sind. „Leonie Gubela schreibt zwar über Tschechinnen, die deutsche Senioren pflegen, es ist ihr jedoch gelungen, ein europaweites, wenn nicht gar weltweites Phänomen zu erfassen. Die Autorin hat sich nämlich nicht mit einer inländischen Perspektive zufriedengegeben, die bei diesem Thema naturgemäß immer begrenzt und unvollständig wäre. Ursprünglicher Impuls war vielmehr eine grenzüberschreitende journalistische Zusammenarbeit, von deren Wichtigkeit in einer vernetzten Welt dieser Text eben zeugt“, lobt Jurymitglied Jan Brož aus der Zeitung Hospodářské noviny. 

 

Kategorie AUDIO

Immer wieder tauchen an verschiedenen Orten in Tschechien tonnenweise illegaler Müll auf, der häufig aus Deutschland stammt. Hinter den Lieferungen steckt ein undurchsichtiges Geflecht aus Zwischenhändlern und Scheinfirmen, die mit der Entsorgung von Abfall Geschäfte machen. In ihrem Podcast Atraktivní skládka Česko. Na stopě odpadovým šíbrům („Attraktive Mülldeponie Tschechien. Abfallschiebern auf der Spur“) gehen Barbora Sochorová und Jan Novák den Spuren dieses schmutzigen Geschäfts nach. „Was den Beitrag auszeichnet, ist nicht nur die journalistische Qualität – sondern die grenzüberschreitende Betrachtung. Ein Paradebeispiel für grenzüberschreitenden Journalismus. Der tschechische Journalist Jan Novak, der Einzelfälle aufdeckt, ihnen unerschrocken nachgeht. Und das Interview von Barbora Sochorová mit dem deutschen Journalisten Michael Billig, das die Recherche international einbettet“, betont Jurymitglied Bogna Koreng vom MDR. 

 In seiner lebendigen Audioreportage „Prost, ihr Säcke!“ – Der Sauftourismus und die letzten Einwohner der Prager Altstadt begibt sich Ferdinand Hauser auf die Spuren des Partytourismus, der das Leben in der Prager Altstadt zunehmend verändert und für die Bewohner unerträglich macht, wie der Autor im Selbstversuch herausgefunden hat. „In seiner Reportage bekommen alle Seiten dieses Schattenphänomens Raum. Dieses ist Teil eines allgemeineren, als Overtourism bezeichneten Problems, mit dem viele europäische Metropolen zu kämpfen haben. Trotz der Ernsthaftigkeit und der negativen gesellschaftlichen Auswirkungen dieses Problems ist Hausers Beitrag stellenweise humorvoll und betrachtet die Dinge auch mit Abstand.“, unterstreicht Jurymitglied Filip Nerad vom Thinktank Globsec.

 

Kategorie MULTIMEDIA

Tschechien ist weltweit der größte Speisemohn-Produzent. Doch viele Landwirte stehen aufgrund des Klimawandels vor existenziellen Herausforderungen. Für ihre Reportage ARTE Re: Zwei Mohnbauern gegen einen Käfer haben Babette Hnup und Kristina Klasen zwei Landwirte begleitet, die auf unterschiedliche Weise versuchen, ihre Ernten zu sichern. „Der Film besticht durch seine ruhige Erzählweise, die die Protagonisten sprechen lässt und sich mit Kommentaren zurückhält. Er ist klug aufgebaut, wie er nach und nach die verschiedenen Aspekte einführt. Eine ausgezeichnete Langzeitstudie, die gerade einem urban geprägten Publikum einen Einblick in eine ländliche Welt verschafft, die von den städtischen Eliten gern übersehen wird“, betont Jurymitglied Peter Lange, ehem. ARD-Hörfunkkorrespondent in Prag. 

In dem Dokumentarfilm Světlo pro budoucnost / Das Licht für die Zukunft von Lenka Ovčáčková lassen drei 90-jährige Zeitzeuginnen, die aus tschechischen deutschsprachigen Familien stammen und den Zweiten Weltkrieg in Böhmen und Mähren erlebt haben, ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen lebendig werden. Heute engagieren sich alle drei für den grenzüberschreitenden Dialog. „Lenka Ovčáčkovás Film vermittelt somit nicht nur Informationen, die über den Rahmen üblicher Berichterstattung oder üblicher Erinnerungsprojekte hinausgehen, sondern auch bisher ungehörte Zeugnisse von Menschen – Frauen –, die einst ‚nirgendwohin gehörten‘, um heute zu ‚Brückenbauerinnen‘ zwischen unseren Völkern zu werden“, unterstreicht die freie Journalistin Veronika Kupková aus der Jury. 

 Sonderpreis „Milena Jesenská“

In seinem Kommentar Češi mezi našimi Němci a našimi Slováky („Die Tschechen zwischen unseren Deutschen und unseren Slowaken“) setzt sich Luboš Palata mit dem Verhältnis seines Landes zu dessen Nachbarn auseinander, das er seit über 30 Jahren journalistisch begleitet. Ausgangspunkt ist der Sudetendeutsche Tag, doch seine Gedanken führen weit darüber hinaus – zu einer ehrlichen, manchmal unbequemen Reflexion über die tschechischen Beziehungen zu West und Ost. „Luboš Palata schreibt für eine Reihe tschechischer wie auch mitteleuropäischer Zeitungen, seit den 90er Jahren arbeitete er auch mit Radio Free Europe zusammen und ist unter anderem mein Kollege beim Tschechischen Rundfunk. Und ich kann bezeugen, dass er sich bis heute konsequent, ja hartnäckig bemüht, bis zum Kern unserer nationalismusgetränkten mitteleuropäischen Vorhölle vorzudringen“, so die renommierte tschechische Journalistin Lída Rakušanová aus der Jury.